Italien, erster Teil


An dieser Stelle möchte ich euch den ersten Teil meines Langzeit-Nebenprojektes „Italien“ präsentieren. Ich werde jetzt nach und nach alle Teile (soweit sie fertig sind) hier hochladen und hoffe auf zahlreiche Leser. Viel Spaß beim ersten Teil 🙂

Um das vorweg zu nehmen: Eigentlich mag ich meine Eltern! Auch wenn es vielleicht nicht immer den Anschein hat, doch insgesamt verstehen wir uns sehr gut. Das allerdings war der blödeste Einfall den sie jemals hatten. Zwei Wochen Adria, in meinen letzten Sommerferien vorm Abi! Während meine Freunde in Spanien einen drauf machen, soll ich in Italien mit meinen Eltern auf dem Campingplatz schmoren. „Der letzte gemeinsame Urlaub“ haben sie gesagt. Da pfeif ich doch drauf. Aber es half alles nichts, ich musste mit. Von meinen Freunden war ich entweder mitleidig belächelt, oder schlicht und ergreifend, ausgelacht worden.
So saß ich jetzt, drei Monate nachdem meine Eltern die „freudige“ Überraschung verkündet hatten, hinter dem Steuer unseres alten Kombis und nahm die Auffahrt auf die Autobahn, welche mich geradewegs in zwei Wochen Langeweile bringen sollte. „Eine gute Chance um mehr Fahrpraxis zu bekommen“ versuchte meine Mutter mir die erste Fahrschicht schmackhaft zu machen. Es war kurz nach vier Uhr morgens und meine Laune hatte bereits den ersten Tiefpunkt des Tages erreicht. Natürlich war Stau an allen Ecken und Enden, so dauerte die Fahrt nur schlappe 14 Stunden. Neun Stunden fuhren wir davon in der prallen Sonne. Eine Klimaanlage? Wofür das denn?!
Nach gefühlten 1000 erfolglosen Versuchen mein Schicksal doch noch abzuwenden, erreichten wir schließlich den Campingplatz. Dank des guten Service durch das kompetente Fachpersonal dauerte es gerade mal zwei Stunden, bis unser gemieteter „camping—wagon“ ausfindig und bezugsfertig gemacht worden war. Der „5-Sterne-Luxuswagen“ glich aus der Nähe eher einer Hundehütte, aus der sogar die Ratten geflohen waren. Na klasse! Enthusiastisch fingen meine Eltern an die Sachen aus dem Auto in unser „Zu hause“ für die nächsten Wochen zu räumen. Widerwillig nahm auch ich meinen Koffer und sicherte mir das Zimmer am linken Ende des Wagons. Immerhin war das Zimmer besser, als es der Wagen von außen vermuten ließ. Das große Doppelbett war sauber und auch die Schränke wirken alle, als wären sie in einem ganz passablen Zustand. Na immerhin, dachte ich und versuchte der Situation etwas positives abzugewinnen. Ich kramte in meinem Koffer bis ich Handtücher und Wechselkleidung gefunden hatte und begab mich erst einmal unter die Dusche. Als ich das Badezimmer wieder verließ, fühlte ich mich schon etwas wohler, ohne die verschwitzten Sachen, und auch meine Laune hatte sich ein ganz klein wenig gebessert. Ich beschloss die Zeit zu nutzen, während meine Eltern noch am auspacken waren, um unsere Nachbarschaft zu begutachten.   Die Hitze des Tages hatte schon ein bisschen nachgelassen, wodurch es draußen halbwegs erträglich geworden war. Meine Eltern waren gerade dabei die mitgebrachten Lebensmittel in der eingebauten Küche zu verstauen und ließen mich intelligenter weise in Ruhe, sie wussten ja um meine Laune.In jedem Quergang zur „Hauptstraße“ des Campingplatzes befanden sich zwanzig „camping—wagons“, 10 auf jeder Seite. Ich trat aus dem Wagon und betrachtete die anderen Wagons.  Was ich sah, machte mir auch nicht wirklich Hoffnung für die kommenden zwei Wochen. Überall Familien mit Kindern im Alter von 4-14 Jahren. Natürlich alles aus Deutschland, jenes verrieten einem die Autokennzeichen. Ein paar Wohnwagons wirkten verlassen, so auch der direkt neben unserem. Vor unserem Wagon stand ein weißer Plastiktisch, mit vier dazu passenden Stühlen. Ich suchte mir den Stuhl, der noch am vertrauensvollsten aussah und richtete ihn so aus, dass ich den perfekten Blick auf den Gang hatte. Seufzend ließ ich mich nieder, als ein verheißungsvolles Knacken die Luft erfüllte. Ehe ich wusste wie mir geschah, landete ich mit meinem Hinterteil auf dem vertrockneten Grasboden. Ich schlug noch einen, vermutlich seeehr eleganten halben Purzelbaum rückwärts und fand dann, halb auf der Seite liegend, endlich die Kontrolle über meine Gliedmaßen wieder. Von rechts hörte ich auch schon ein schadenfrohes, amüsiertes Lachen. Ungeschickt und mit einer Wut im Bauch erhob ich mich, um zu sehen, wer auch noch so frech war mich auszulachen. In der Tür des eben noch verlassenen Wagons nebenan stand ein braun-haariger Jugendlicher und versuchte schuldbewusst sein Lachen zu verbergen. „Findest du das komisch?!“ stieß ich erbost aus und stapfte in seine Richtung. Doch meine Wut verflog jäh, als ich seine Mine sah. Das schlechte Gewissen darüber, mich ausgelacht zu haben, stand ihm ins Gesicht geschrieben und seine leuchtend grünen Augen baten aufrichtig um Verzeihung. Allein sein Blick reichte aus, dass ich ihm verzieh.
„Es tut mir Leid, ich wollte dich nicht auslachen,aber das sah einfach zu komisch aus“ entschuldigte er sich und kam auf mich zu. Ich schaute zurück auf die Überreste des Gartenstuhls und nickte: „Ja, das muss es wohl.“
„Ich bin der Eddy“ stellte er sich vor und reichte mir die Hand.
„Ben“ erwiderte ich und schlug ein.
Er konnte der einzige gleichaltrige auf dem Campingplatz sein. Ein wenig Hoffnung keimte in mir auf, vielleicht würden die kommenden Tage doch etwas interessanter werden.
„Sieht aus als wäre wir Nachbarn, wie lange bist du schon hier?“ fragte ich.
„Wir sind auch gestern erst angekommen. Wie lange bleibt ihr?“
„Zwei Wochen“
„So lange bleiben wir auch, aber du klingst nicht besonders glücklich darüber?“
„Naja ich wurde zum mitfahren gezwungen. Bist du freiwillig mit deinen Eltern gefahren?“
„Es waren eher unglückliche Umstände, die mich zum Mitfahren bewegt haben.“ Für einen Moment war seine Miene wie versteinert, als erinnere er sich an etwas schlimmes. Dann kehrte das Lächeln zurück.
„Hey, wie wäre es, wenn ich meine vorige Unhöflichkeit mit einem Bier wieder gut mache?“
Ich tat so als müsste ich erst einen Moment überlegen, dann meinte ich:
„Ja, ich glaube das wäre ein guter Ausgleich.“
„Gut, ich habe gesehen, dass es an der Einkaufspassage am Eingang eine Bar gibt, lass uns doch da hin gehen.“
„Einen Augenblick, ich hole nur schnell Portmonee und Handy.“ Ich lief zurück zu unserem Wagon und ging in meinem Zimmer. Schnell fand ich die beiden gesuchten Gegenstände und stopfte sie in die Taschen meiner Badeshorts.
Beim Rausgehen rief ich noch schnell: „Bin weg, komme irgendwann wieder!“
„Pass auf, dass du den Weg zurück findest“ rief meine Mutter mir noch zu, doch ich hatte gar nicht hin gehört.
Einige Sekunden später, war ich wieder draußen bei Eddy und wir machten uns auf den Weg zu der Bar.
Es wurde allmählich dämmrig und auf der „Hauptstraße“ kam uns ein Wagen entgegen, der  die Bäume mit Insektenvernichter besprühte. Nicht, dass es etwas gebracht hätte. Die Mücken waren sowieso allgegenwärtig.
Es dauerte einige Zeit, bis wir die Bar endlich gefunden hatten. Der Campingplatz war groß und wir gingen durch zahlreiche Neben- und Hauptgänge, bis wir endlich den Eingangsbereich des Platzes erreicht hatten.
Die Bar war klein und zur Straße hin offen. Wie sich das in Italien gehörte, durfte die eingebaute Eisdiele nicht fehlen.
Viele Urlauber saßen an den zahlreichen Tischen, die in der Allee zwischen Straße und Gebäudefront standen und genossen den Sommerabend.
Wir suchten uns einen freien Tisch und sofort war eine Bedienung zur Stelle, die uns die Karte überreichte und nach unserem Getränkewunsch fragte. Sie sprach perfektes Deutsch, lediglich der Akzent verriet, dass sie Italienerin war.
Man konnte meinen, man sei in Deutschland.
Eddy bestellte wie versprochen das Bier und wir machten uns einen ruhigen Abend, während ich mich von den Strapazen der Reise erholte. Wir verstanden uns auf Anhieb super und so kamen zu dem einen Bier schnell noch vier weitere.
Gegen 1 Uhr überlegten wir uns dann, langsam mal zurück zu gehen. Wir zahlten, nahmen ein Eis als Marschverpflegung mit und gingen, leicht angeheitert, in die Nacht.
„Moment!“ Eddy blieb stehen. „Du warst noch  gar nicht am Strand oder?“
„Nee, warum?“
„Mitkommen!“ Er drehte um und ging in die entgegen gesetzte Richtung. Achselzuckend folgte ich ihm.
Nur fünf Minuten später fanden wir uns an der hell-erleuchteten Strandpromenade wieder. Uns kamen viele Eltern entgegen, die sich vermutlich nach einem anstrengenden Tag mit den Kindern jetzt bei einem Abendspaziergang entspannten.
Meine schlechte Laune war endgültig verschwunden, denn die Atmosphäre welche ich auf der Promenade erlebte, machte alles wieder wett. Der Mond spiegelte sich auf den sanften Wellen der Adria und das Rauschen des Wassers sowie die zahlreichen zirpenden Grillen erzeugten eine einzigartige Geräuschkulisse. Ansonsten war nichts zu hören.
„Lass uns zum Wasser gehen.“ schlug er vor.
Wir zogen die Flip-Flops aus und stiefelten barfuss durch den kühlen Sand. Ich schlurfte die letzten Reste meines Zitroneneises und schlenderte so weit ins Wasser, bis die Wellen meine Knie umspülten.
Das Wasser war schon kälter, aber noch weit davon entfernt, unangenehm zu sein.
Was für ein schöner Abend, dachte ich, als ich den klaren Sternenhimmel betrachtete.
Wo war eigentlich Eddy? Verwundert schaute ich mich um. Ich entdeckte ihn weiter hinten am Strand, wo er gerade dabei war sein Hemd auszuziehen. Der wollte doch wohl nicht schwimmen gehen oder? Anscheinend doch.
Er zog seine Wertsachen aus den Taschen und deponierte sie auf Hemd und Flip-Flops.
Dann stürmte er, nur noch mit der Badeshorts bekleidet, auf mich zu.
Oh nein!
Schnell hob ich die Arme. „Moment, mein Handy!“ Er hörte meinen Einwand gerade noch rechtzeitig, denn er stürzte in die Wellen, an statt mich umzureißen.
Prustend tauchte er wieder auf: „Du hast 30 Sekunden!“ drohte er lachend.
Ich beeilte mich und schmiss meine Sachen neben seine, ehe ich, ebenfalls nur noch in Badeshorts, auf ihn stürzte.
Ich packte ihn von hinten und wollte ihn in dem kalten Nass versenken, doch mit dem was er dann tat hatte ich nicht gerechnet. Er hebelte mich aus und warf mich über seine Schulter ins Wasser. Vor lauter Überraschung zog ich einen Schwall Salzwasser in meine Lungen und tauchte hustend wieder auf.
„ Alles OK?“ fragte er und klopfte mir auf den Rücken.
Als ich endlich wieder zu Luft kam zeigte ich mit dem Finger auf ihn und sagte:
„Das war absolut nicht fair!“
Er setzte wieder seine Unschuldsmiene auf, welche diesmal allerdings von einem spitzbübischem Lächeln durchbrochen war: „Ich hab mich nur verteidigt“.
Wir begannen wieder zu rangeln und tauchten beide ins Wasser.
Als wir wieder auftauchten erwartete uns eine Überraschung…
Vom Strand her wurden wir von einem hellen Scheinwerfer geblendet. Wir konnten hören, wie jemand in verschiedenen Sprachen nach uns rief. Die englische Version verstand ich dann, wir sollten aus dem Wasser kommen.
Auch Eddy hatte verstanden und wir wateten aus dem Wasser. Am Strand stand ein Platzwächter, sein Quad hatte er als Spot auf uns gerichtet. Ich konnte mich nicht erinnern, irgendwelche Verbotsschilder übersehen zu haben, mal schauen was er wollte.
Ruhig aber bestimmt erklärte der Mann, dass das Schwimmen in der Nacht verboten war, weil es zu gefährlich sei. Danach folgte noch ein moralischer Vortrag, dass wir es nicht noch einmal tun sollten, soviel wie uns passieren könne.
Während des Vortrages schauten Eddy und ich uns immer wieder belustigt an, wir hatten den Punkt der Ansprache ja schon lange verstanden. Schließlich stieg der Mann wieder auf sein Quad und fuhr davon.
So standen wir da, tropfend und frierend, da wir nichts hatten, um uns abzutrocknen.
„Lass uns zurück gehen, es wird kalt.“ sagte ich. Er nickte, wir nahmen unsere Sachen und liefen zurück zur Strandpromenade. Von dort aus suchten wir uns den erstbesten Nebengang. Der Gang lag im Dunkeln, in keinem der Wagons brannte noch Licht. Da kam mir eine Idee. Ich huschte zwischen zwei Wagons, Eddy folgte mir, ohne zu wissen was ich vor hatte.
Die Wagons waren mit Wäscheleinen verbunden, auf denen die Bewohner ihre Sachen trockneten. Ich schaute mich einmal kurz um, dann schnappte ich mir eines der Handtücher von der Leine und hielt es Eddy hin:
„Hier, wir müssen uns abtrocknen, sonst verbringen wir den Rest des Urlaubs krank im Bett.“
Er nahm das Handtuch und begann damit sich abzutrocknen. Ich griff mir ein weiteres Handtuch und begann mich ebenfalls ab. Zwar nicht die feine Art, aber es merkt schon keiner, dachte ich.
„Warte!“ Ich wollte gerade mein T-Shirt anziehen, doch er hielt mich zurück und trocknete, vorsichtig darauf bedacht nicht zu grob zu sein, meinen Rücken ab. Als er fertig war drehte ich mich zu ihm um. Einen seltsamen Moment lang schauten wir uns tief in die Augen. Er stand dicht vor mir, seine noch feuchten Haare lagen zerwuschelt auf dem Kopf und seine Lippen umspielte wieder dieses sympathische Lächeln, dass ich heute schon so oft gesehen hatte.
Eine verwirrende Erkenntnis traf mich: Er sah wunderschön aus!
Hastig zog ich mein T-Shirt an und hängte das Handtuch zurück auf die Leine. Im Folgenden irrten wir schweigend durch die Gänge. Ich war viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, als noch reden zu können. Nach einiger Zeit fiel mir auf, das mir keiner der Gänge oder Wagons bekannt vor kam.
Wir hatten uns verlaufen.
„Weißt du welche Nummern unsere Wagons hatten, oder in welchem Block sie standen?“
Er zuckte mit den Schulter:
„Ich hab keine Ahnung….Aber warte mal, ich habe irgendwo den Schlüssel für unseren Wagon, da müsste ja eine Nummer draufstehen.“
Er kramte in seinen Taschen, bis er schließlich einen kleinen Schlüssel hervorzog. Er hielt ihn ins Licht und betrachtete ihn prüfend.
„Block N, Wagon 1903. Wo sind wir gerade?“ fragte er und schaute sich um.
„Block J“ sagte ich und zeigte auf das Schild, „die Richtung!“ gab ich an und ging nach links. Weiter oben hatte ich ein Schild entdeckt, auf dem ein K gedruckt war, also musste das die Richtung sein.
Es dauerte noch eine Weile, doch schlussendlich standen wir wieder vor unseren Wagons. Einen Moment verharrten wir vollkommen still, so als würden wir beide noch etwas sagen wollen, aber keiner fand die passenden Worte. Letztlich durchbrach ich das Schweigen:
„Danke für den schönen Abend“
Mit diesen Worten verabschiedete ich mich in meinen Wagon. Als ich gerade die Tür hinter mir zuziehen wollte, hörte ich ihn noch sagen:
„Mir hat es auch sehr gut gefallen.“ Ich schaute noch einmal aus dem Wagon und blinzelte ihm zu. Er stand nur da und lächelte mich an.
Ich schloss die Tür und ging in mein Zimmer. Nachdem ich mich meiner Bade- und Boxershorts entledigt hatte, plumpste ich in mein Bett.
Der Alkohol und die Müdigkeit verhinderten, dass meine Gedanken noch einmal zurück zu der seltsamen Erkenntnis wanderten, denn sofort schlummerte ich tief und fest.

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3 Antworten zu Italien, erster Teil

  1. angeloconcuore schreibt:

    Sehr schön geschrieben!

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